4. Aug, 2017

Für mein Elfchen

Der Wald war dunkel und dennoch freundlich. Ich wusste nicht, wie ich dort hingekommen war, ich wusste nur, dass ich mich nach so einem Ort gesehnt hatte.

 

Die Bäume hatten etwas Mythisches an sich. Große kräftige Bäume, die Kronen waren kaum zu sehen. Nicht gerade gewachsen, eher etwas schwülstig und breit. So als ob sie Raum bieten wollten um in ihnen zu wohnen. Eine unausgesprochene Einladung. Der Weg war geschwungen, umrahmt von lieblichen Waldblumen, weiß, zartes gelb. Überhaupt schien in diesem Wald keine einzige gerade Linie zu existieren. Mir vielen spontan die Wörter „fließend“ und „harmonisch“ ein und lächelte ein wenig.

 

Ich stand nun in diesem Wald, fühlte mich unheimlich wohl, und beschloss aus diesem Grunde ein paar Schritte zu gehen. Etwas verwirrte mich die Tatsache, dass es mich nicht verwirrte, mich plötzlich an diesem Ort zu befinden. Aber egal. Es war nun einmal so, und ich war neugierig.

 

Das Zeitgefühl war mir entglitten, wusste nicht, ob ich Minuten oder Stunden unterwegs war. Auch hatte das an Wichtigkeit verloren. Ich merkte, wie still es eigentlich war. Kein Straßenlärm, kein Menschengeschreie, keine Hektik. Nur der Wind, der sanft mit den Blättern spielte, ein paar Vögel. Ab und zu knackte ein auf der Erde liegender Ast, auf dem ich trat, und selbst das Geräusch wirkte störend, denn es gehörte nicht hierher. So bemühte ich mich, mich völlig in die Umgebung einzufügen und gab acht keinen unerwünschten Lärm zu verursachen, setzte mich auf weiches Moos am Wegesrand und schloss die Augen. Ich lauschte, fühlte, roch, schärfte meine Sinne.

 

Plötzlich hörte ich ein knacken, und da ich wusste, dass ich es nicht gewesen sein konnte, war ich auf ein Tier gefasst. Vielleicht ein Hase, ein Reh, ein Igel, irgendetwas in der Art. Mir fiel auf, dass ich den ganzen langen Weg keinen einzigen derartigen Waldbewohner zu Gesicht bekommen hatte. Nicht, dass es mich verunsicherte, nur ein kurzer Gedanke der mir durch den Kopf schoss, und der durch ein wiederkehrendes knacken eines Astes unterbrochen wurde.

 

„Mist!“ Mist? Hatte ich richtig gehört? Ich sah mich um, jedoch ohne Ergebnis, dass mich auch nur ansatzweise befriedigen sollte, denn niemand war ausfindig zu machen „Du hast richtig gehört.“ Ich merkte eine gewisse Unbehaglichkeit in mir hochsteigen. Nicht nur, dass ich Stimmen hörte, die ich lieber einem Körper zugeordnet hätte, es wurden auch noch meine Gedanken gelesen. Etwas unschlüssig saß ich da, doch in Anbetracht dieses mehr als seltsamen Tages beschloss ich einfach meine Neugierde siegen zu lassen: „und warum Mist?“ fragte ich nun laut, um wenigstens meinem eigenen Körper eine Stimme zu verleihen. Leises kichern. „Ist nicht so wichtig. Ich wollte nur sehen, ob ich auch ein knacksen verursache, wenn ich gehe. Ich dachte ich könnte es besser. Aber wer ist schon vollkommen? Viel wichtiger ist: warum bist du hier und vor allem, was genau willst du denn von mir?“

 

Angestrengt dachte ich nach. Ich redete also mit einem etwas, dass ich nicht sehen konnte und das mich fragte was ich von ihm wolle. Ich vernahm noch ein unwilliges „pffffffft“ ehe ich ein kleines, zierliches Elfchen auf einer Blume neben mir sitzen sah. „Dann sieh mich halt genau an, wenn du mit unsichtbaren Wesen nicht unvoreingenommen kommunizieren kannst“ Die erwartete Reaktion meinerseits wäre wohl gewesen, die Augen weit aufzureißen, mit offenem Mund zu staunen, und meinem Verstand zu zweifeln. Stattdessen kniff ich die Augen zusammen, kam mit dem Kopf näher zu dieser kleinen Elfe um sie besser sehen zu können. „Nana, wie nah willst du denn noch kommen?“ Ich entschuldigte mich angemessen, jedoch nicht ohne meinem Blick abzuwenden. Was ich sah, gefiel mir ausnehmend: Eine kleine, zierliche Gestalt, mit gelben Haaren, die kurz geschnitten und struppig, frech das ebenmäßige Gesicht umrahmten. Ein Kleid ganz in weiß, welches duftig, und weich die Knie umschmeichelte. Zwei libellenartige Flügel, die ständig ein wenig in Bewegung waren, und wenn man genau hinhorchte auch ein leises Geräusch verursachten. Alles in allem eine sehr ansprechende Erscheinung. „Vielen Dank auch.“ Das Elfchen grinste, weil es wusste, dass ich spätestens jetzt realisierte, wie gut es in der Lage war meine Gedanken zu lesen.

 

Die Frage beschäftigte mich nun doch. Wie kam das Elfchen darauf, dass ich etwas von ihm wollte? Grübelnd saß ich auf dem Moos, es war still. Nur das leise surren der Flügelschläge war zu hören. Sie ließ mich mit meinen Gedanken alleine, und insgeheim dankte ich es ihr. Ich sah mich um in diesem Wald, der so viel Ruhe und Geborgenheit ausstrahlte. „Weißt du, an so einem Ort hab´ ich mich schon immer gewunschen. Fernab von all den Leuten. Ruhe, Frieden.“ Und plötzlich überkam mich die schon gewohnte Traurigkeit, und ich wusste eigentlich nicht, warum sie mich immer besuchte. „Sie ist ein Teil von dir, du musst sie nur annehmen. Sie will dir etwas sagen“ sanft und gar nicht mehr so frech kamen diese Worte von der Elfe. „Bin ich deswegen hier? Um etwas über mich zu erfahren, zu lernen?“, meine Frage kam unsicher. „Du bist hier, weil du hierher wolltest. Ob du lernst, liegt an dir. Du bist hier, weil du dich auf den Weg gemacht hast, das Ziel kennst du noch nicht, obwohl du es immer beharrlich suchst. Nur, das Ziel ist nicht immer wichtig. Sieh dir den Weg an, du hast dir doch einen schönen gewählt, warum zweifelst du ständig an dir? Gehe ihn und sieh was passiert.“

 

Noch lange Zeit hallten die Worte in mir nach. Ich war irritiert, verwirrt. Nur wenige Worte wurden gewechselt. Die jedoch gaben mir ein Gefühl der Wärme, Kraft. Es knackte wieder ein Ast in der Nähe. Als ich aufschaute entdeckte ich einen Hasen der friedlich an einer Wurzel nagte. „So ganz alleine willst du wohl doch nicht sein“, sagte die Elfe und lächelte. Noch ehe ich antworten konnte, war sie verschwunden, nur ein leises surren war zu hören.

 

Und obwohl ich Abschiede verabscheute, wusste ich, dass es keiner auf lange Zeit war. Eine Freundin hat sich mir vorgestellt. Eine, die da war, als ich Unsicherheit in mir verspürte, Zweifel. Es war nicht nur Dankbarkeit, die ich fühlte, sondern auch Freude. „Eine kleine, freche, geheimnisvolle und kluge Freundin“ murmelte ich, sah wieder zu dem Hasen und wusste es war an der Zeit zu gehen.

 

Die Vögel zwitscherten munter ihre Lieder, die Sonne durchbrach das Dunkel des Waldes. Es war lau und angenehm. Zwei Rehe kreuzten den Weg. Der Weg. Die Elfe hatte recht, es war ein sehr schöner, einer der sich durch den Wald windete und kein Ende war abzusehen. Ich blieb stehen, schloss die Augen und atmete tief durch. Ich hörte wie Menschen redeten, lachten. Und ich empfand es nicht mehr als störend. Es war keine Hektik darin zu erkennen, oder war es aus dem Grunde, da ich keine Hektik mehr in mir verspürte? Ich ging nun etwas schneller, wollte die Menschen sehen, die ich hörte, mit ihnen reden und vor allem lachen.

 

Stru, 08.06.2000